Donnerstag, August 16, 2007

Moderne, das bedeutet: Die Evangelien aendern sich . Die schlechten
und die guten Nachrichten sind nicht mehr fest an ihren Plaetzen .
Das Dekorum schwankt, bis es dahin kommt, dass das Gehoerige
und das Ungehoerige die Plaetze tauschen . Was nun noch Vorbild
sein kann, muss ermittelt werden, fortwaehrend von neuem . Die
Nachahmung dringt in alle Ritzen, ueberaufmerksam, den Erfolgen
anderer auf der Spur . Wirtschaftsteil, Sportteil, Kulturteil, Gesell-
schaftsteil, die Kursbuecher der Eifersucht . Die Gesellschaft ist die
Summe ihrer Wettbewerbe .
Die Kunst, so hiess es schon vor einem Jahrzehnt, verlaesst die
Galerie, sie geht aufs Land, sie geht zu den Leuten . Das sollte
sagen: Sie sucht das Freie und wuenscht sich einen anderen
Spielraum fuer das Glueck, das Unglueck zu unterbrechen . Die
Selbstanrufung der gluecklicheren Kraefte fragen nach Mitwissern,
nicht nach Eigentuemern . Sogar Werkform und Wertform stellen
sich zur Disposition, damit die Stimme der Kunst wieder ein reines
Ueberspringendes werden kann, ein Pfeil des Gluecks, erfahrbar in
der Sekunde, in der das Leben schneller ist als seine Auswertung .
(aus: Peter Sloterdjik . Der aesthetische Imperativ)