Donnerstag, August 09, 2007

Der religioese Gehalt der Bergengruenschen Novelle "Der Arzt von
Weißenhasel" tritt noch klarer hervor, wenn man ihn dem jenes
Werkes gegenueberstellt, das man sich gewoehnt hat als den Inbegriff
der deutschen klassischen Humanitaet anzusehen . Auch in der
Goetheschen "Iphigenie" wird aus dem Glauben heraus ein Wagnis
eingegangen . Aber dieser Glaube richtet sich gaenzlich auf den
Menschen, und das Wagnis wird unternommen im Vertrauen auf
die Kraft des Guten, dessen der Mensch faehig ist . Die Guete des
Menschen ist der Garant der goettlichen Macht, oder, umgekehrt
ausgedrueckt: das "Goettliche" bekundet sich im Menschen als
"reine Menschlichkeit" . Sie allein erloest aus dem Unheil der Welt .
Der Mensch muss nur der reinen Stimme gemaeß handeln . Es
bedarf keiner Fuegung . Die Welt wird heil, wenn die menschlichen
Gebrechen aufgehoben werden im Durchbruch zum Menschlich-
Guten . So ist die Heilung des Orest ein Sich-wieder-Finden im
Glauben an die Guete im menschlich-goettlichen Bereich . Die
Bekehrung des Thoas ist keine Umkehr, sondern nur die Befreiung
seines an sich edeln Wesens aus der Verstrickung in die Leidenschaft
der niederen Natur .
(aus: Wirkendes Wort . Essay Erich Hock)